Der Blick hinter den Spiegel – Mit Journaling zu Selbstreflexion und Selbsterkenntnis –

Klar, wir wissen das alle!

Zu einem guten Umgang miteinander, einer stimmigen, führenden Unterstützung, produktiver Zusammenarbeit und – nicht zuletzt – zum eigenen persönlichen Wachstum gehört die Fähigkeit zur Selbstreflexion.

Doch was genau meint Selbstreflexion? Und, wie können wir sie im dichten Familien- und Arbeitsalltag kontinuierlich pflegen?

Selbstreflexion schafft Fülle-Energie

In der Selbstreflexion richten wir uns bewusst wahrnehmend und fragend auf unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln in bestimmten Situationen. Wir fokussieren uns darauf, Veränderungspotenziale bei uns selbst aufzudecken. Wir wollen versteckte Potenziale erkennen, die uns einen nächsten Entwicklungsschritt ermöglichen, hin zum gewünschten Ziel. Dabei darf die dann vor uns liegende Aufgabe herausfordernd sein.

Selbstreflexion bricht mit unseren Vorannahmen, ideologischen Trugbildern, unseren sozialen und kulturellen Vorurteilen und stellt diverse Ungleichheiten in konkreten Alltagssituationen in Frage. Sie führt uns an persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen heran, mit denen wir in beruflichen und privaten Kontexten andere Menschen vielleicht an den Rand drängen oder sie sogar komplett zum Schweigen bringen. Selbstreflexion hilft, sogenannte blinde Flecken bei uns selbst auszuleuchten.

Anders als meist angenommen, ist der selbstreflexive Prozess mit enormer Fülle-Energie verbunden. Statt ewig in Grübeleien über ein abstraktes Warum und Weshalb zu verhaften, kommen wir –tatsächlich oft unerwartet – durch neue Selbsterkenntnisse ins sinnvolle Handeln. Indem uns unser eigener Anteil an den Geschehnissen offenbar wird, schöpfen wir neue Inspiration und Kraft. Wir sind bereit, unser Leben (wieder) verantwortlich „in die Hand zu nehmen“ und durch Passivität, Agitation oder Projektion erfahrene Ohnmacht und Stagnation hinter uns zu lassen. Wir werden ruhiger, klarer, zufriedener – und wir werden offener für Belange anderer Menschen, für die gemeinsam zu lösende Situation oder Aufgabe. Wir spüren sie wieder, die Freude und den Spaß im alltäglichen Miteinander.

Die einfachen Fragen zählen

Ob in Familie, im Business, in Freundschaften oder in der Netzwerkarbeit – verschiedene Lebensaspekte in der eigenen Vorstellung auf unser Selbst beziehen und es darin erkennen zu können, stärkt uns. Wir verhindern damit Selbsttäuschungen in Form von Über- und Unterschätzung des eigenen Wissens und Könnens. Allerdings erfordern Selbstreflexion und Selbsterkenntnis Zeit, Konzentrationsenergie und Umsetzungsbereitschaft. Beide sind nicht mit schnellen Checks & Balances zu erreichen. Sie leben von Wiederholung und Dauerhaftigkeit. Wir dürfen uns hier entscheiden, unsere Selbstreflexion bewusst und regelmäßig zu pflegen, indem wir uns wie Kinder in einfache Fragen – Was? Wie? Weshalb? – verlieben und diese geradezu leben.

  • Was … treibt mich (in meiner Familie, meiner Freundschaft, meinem Business) an?
  • Was … ist mir (in meiner Familie, Freundschaft, meiner Arbeit) wirklich wichtig?
  • Wie … geht es mir gerade, und welchen Einfluss hat dies darauf, wie ich eine gegebene Situation erlebe?
  • Wie … kann ich dafür sorgen, dass es mir (bzw. meiner Familie, meinem Business) besser geht, ich mit mehr Ressourcen ausgestattet bin und nachhaltig motiviert einen positiven Beitrag leiste?
  • Weshalb … fühle ich mich gerade gestresst, unwohl, ärgerlich?
  • Weshalb … reagiere ich so und nicht anders?
  • Wie … kann ich die Perspektiven der anderen wertschätzen, gleich wie sehr sie sich von meiner unterscheiden?
  • Was … kann ich in meinem Verantwortungs- und Einflussbereich verändern?
  • Wie … gehe ich mit dem um, was ich nicht verändern kann?
  • Was … erfüllt mich mit Dankbarkeit?

Die Nähe von Sprache, Körper und Handlung

Vielen Menschen erscheint es dennoch nicht leicht, sich mit dem Zusammenspiel zwischen komplexer Innen- und ebenso komplexer Außenwelt zu befassen. Aus meiner langjährigen Arbeit mit Familien und in interdisziplinären Projektteams weiß ich, dass reflexives Journaling ein schlichter und zugleich hilfreicher Weg ist, sich selbst in diesem verworrenen Lebensnetz zurecht zu finden und verstehen zu lernen.

Journaling bedeutet, mit Lieblingsstift und einem schönen gebundenen Heft Platz zu nehmen und sodann der schreibenden Hand zu vertrauen. Wir grübeln uns also nicht verbissen in eine Frage oder Situation hinein. Wir stimmen uns vielmehr mit ihrer Hilfe ein, um unserer Intuition und Kreativität dann für etwa 20-30 Minuten im Hier und Jetzt freien Lauf zu lassen. Inhalt und Prozess zählen, nicht Grammatik, Rechtschreibung und Produktregeln.

Die Idee ist, dass Sprache, Körper und Handlung in einem Näheverhältnis stehen. Sie gehören zusammen und sie gehören zum Leben. Sprache entsteht im Körper und drückt sich durch ihn aus. Sprache ist sinnlich, haptisch und rhythmisch, sie aktiviert Körper und Geist. Im kreativ-reflexiven Schreibakt wird die Koordination der beiden Gehirnhemisphären angeregt und deren Kapazitätsnutzung gesteigert. Sequenzen und logische Abfolgen werden mit Bildern und emotionalen Verbindungen zusammengefügt, so dass sich neue Bewegungs- und Denkmuster sowie lösende Handlungsansätze ergeben können.

Reflexives Journaling öffnet den Blick hinter den Spiegel

Journaling berücksichtigt also und gleicht die Tatsache etwas aus, dass Reflexions- und Erkenntnisprozess prinzipiell unsicher und unabgeschlossen sind. Schließlich verändern wir uns einerseits in Auseinandersetzung mit der Umwelt ständig ein wenig und andererseits bleibt uns ein Teil unserer Gefühlswelt doch stets verborgen. Schreibend können wir beides festhalten und in einer späteren, reflektierenden Zusammenschau ausleuchten. So gewinnen wir neue und vertieftere Erkenntnisse über uns. Wir lernen schreibend – wie Alice, verwundert – hinter den Spiegel zu schauen, den wir uns zu verschiedenen Zeitpunkten vorhalten.

Regelmäßiges Journaling kann so eine enorme Unterstützung dabei leisten,

  • unsere Visionen und Ziele zu klären und im Bewusstsein zu halten.
  • uns in unseren verschiedenen Lebensrollen zu erkennen und wertzuschätzen.
  • unsere Gefühle, Gedanken und Handlungen im Business und im Privatleben miteinander in Verbindung zu bringen.
  • sinnvolle Veränderung zu bewirken.

Und nun du!

Du hast jetzt Lust bekommen, spielerisch zu mehr Selbstreflexion und Selbsterkenntnis zu gelangen? Probiere doch gleich diese kleine Journaling-Übung aus!

Notiere auf einer leeren Seite in dein Journal die Namen der wichtigsten Personen in deinem Business bzw. deinem Arbeitsumfeld. Notiere die Namen, die dir als erstes in den Sinn kommen. Es können Personen sein, mit denen du aktuell in Beziehung stehst oder Personen, die in der Ideenfindungs- und Gründungsphase bzw. bei deinem Onboarding wichtig waren oder es noch sind. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.

Betrachte die Namensliste und wähle drei Namen aus, die dir in diesem Augenblick bedeutungsvoll erscheinen. Schreibe sie auf die nächste leere Seite in deinem Heft und notiere dahinter Stichworte, die dir zu den jeweiligen Menschen einfallen. Betrachte deine Notizen und wähle eine Person aus, mit der du dich beschäftigen möchtest.

Beginne auf einer neuen, leeren Seite und schreibe ca. 15 min lang eine Geschichte zu dieser Person. Es ist nicht wichtig, ob diese Geschichte den Tatsachen entspricht. Du bist frei, alles zu notieren, was dir in den Sinn kommt: Wünsche, Fantasien, Gespräche, Begegnungen, Ereignisse – real oder fiktiv.

Schreibe zum Abschluss ein Datum zu deiner Geschichte. So kannst du deine Entwicklung in Bezug zu dieser Person verfolgen, deinen Text nach einiger Zeit erneut lesen, ihn unter anderer Perspektive betrachten und verstehen oder deiner reflexiv-kreativen Textarbeit schlicht Wertschätzung entgegenbringen.

Die Autorin dieses Beitrags ist Birgit Maria Stubner.
Als Die.Bildungsansteckerin setzt sie sich für achtsames und sinnvolles Lernen im Alltag ein. Ihre Mission ist es, ein inspirierendes Lernumfeld in Familien und Bildungsinstitutionen zu schaffen, das Kindern – auch denen mit besonderen Bedürfnissen – die Möglichkeit gibt, mit Leichtigkeit und Freude Lernherausforderungen zu meistern und ihr volles Potenzial zu entfalten. Dazu hat sie das M.O.V.E-Framework entwickelt, mit dem der Fokus der systematischen Lernunterstützung auf vier Entwicklungsbereiche gelegt wird, die Selbsterkenntnis und Engagement fördern. Für mehr Tipps und Informationen trage dich gerne in ihren Vorfreude-Newsletter ein.

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