Gendering  – Eine Geschichte von einem Geschäftsdinner

“Angeregt” könnte man das Gespräch bezeichnen, welches ich beim Geschäftsdinner mit zwei von mir sehr geschätzten Kollegen führte, als wir uns über Ziele und den Weg dorthin unterhielten. Zwei Kollegen, mit denen ich schon viel erreicht hatte und viele Hindernisse überwunden hatte.

Als plötzlich das Thema “Gendering” ins Gespräch gebracht wurde, wetterte einer der Kollegen: “Also dieses Gendering, das ist doch der größte Blödsinn, der jemals erfunden wurde. Ich weiß gar nicht, was das für eine Gleichberechtigung bringen soll. Im Gegenteil, als Mann fühle ich mich dadurch diskriminiert, weil in der deutschen Sprache ohnehin im Plural schon die ganze Zeit weibliche Artikel verwendet werden. Es heißt ja auch DIE Männer und DIE Ergebnisse und und und…”

Der Schlagabtausch hatte gerade erst begonnen.

Sprache würde missbraucht und misshandelt werden, nur weil sich ein paar Feministinnen einbilden würden, dass sie sich plötzlich durch das generische Maskulinum nicht mehr angesprochen fühlen würden.

In mir brodelte es, Impulse blitzten durch meine Gehirnbahnen, Argumente boxten sich an die Oberfläche, mein Blut rauschte durch meine Adern. Doch ich saß da und schwieg. Mittlerweile hatte einer der beiden Kollegen bemerkt, dass die Konversation sehr einseitig geworden war und wandte sich wieder mir zu: “Monica, du genderst doch in deiner Korrespondenz und auch in deiner Sprache. Magst du denn gar nichts dazu sagen?”

Tausende Dinge hätte ich als überzeugte Genderin hier einbringen können, doch meine Antwort lautete schlichtweg: “Nein”. Ich entschied mich für die asiatische Philosophie des Wu-Wei, dem “Nicht-Handeln”. Diesen Kampf, diese verbalen Aggressionen der beiden Kollegen wollte ich nicht mit weiteren Impulsen befeuern, wollte diese unangebrachte Diskussion beenden und mich der aufgezwungenen Rollenverteilung hinwegsetzen, den Angriff ins Leere laufen lassen.

Verdutzt blickten mich die beiden Kollegen an. Das Thema war damit beendet, und ein neues Thema wurde gefunden.

Warum ich gendere?

Sprache ist ein unglaublich starkes Werkzeug. Sie beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen, wie wir denken und wie wir handeln. Sie ist die Grundlage für unsere Kommunikation, unsere Kooperation und soziale Interaktion. Sie ist eng mit unserer Kultur verbunden und reflektiert Normen, Werte und Überzeugungen. Sprache prägt unsere Identität und Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen. Und sie beeinflusst Vorurteile und Stereotype, indem sie sie verstärkt oder abschwächt.

Stell dir eine Gruppe von Piloten vor deinem inneren Auge vor. Was haben sie an, wie sehen sie aus, was strahlen sie aus? Und nun ehrlich: Hattest du in deiner Vorstellung an männliche oder weibliche Piloten oder beide Geschlechter gedacht? In der Gendering-Diskussion wird oft damit argumentiert, dass das maskuline Generikum gleichermaßen Männer und Frauen anspricht. Doch wie tut es das, wenn in unserer maskulin geprägten Welt fast automatisch ein männliches Bild entsteht?

Sprache lenkt unsere Aufmerksamkeit: Wenn wir jedoch beide Geschlechter in unserer Sprache benennen, verändert sich auch das innere Bild in unseren Köpfen.

Aber was ist mit dem Sprachfluss… Gendering klingt wie ein Schluckauf, es “verhunzt” die deutsche Sprache, verwirrt Deutschlernende?

Veränderung tut weh. Immer. Veränderungsprozesse werden immer von Ablehnung und Widerstand begleitet. Das ist vollkommen normal. Die Angst vor Veränderung geht einher mit der Angst vor Neuem, der Bedrohung durch das Neue und der Angst davor, was verloren gehen könnte. Einige Veränderungen kommen so schleichend, dass sie gar nicht weiter hinterfragt werden, denn dann “ist das irgendwann einfach so”. “Flugbegleitung” zum Beispiel: Lange wurde im frauendominierten Berufsfeld von “Stewardessen” gesprochen, bis immer mehr Männer den Wunsch verspürten, Flüge zu begleiten. “Steward” klang eher nach britischem Gentleman, und so etablierte sich schleichend die Bezeichnung “Flugbegleitung”. Hat sich jemand daran gestört? Ich erinnere mich nicht daran. Gleiches galt lange Zeit für das Berufsbild der “Krankenschwestern”. “Krankenbrüder” klingt schon recht eigenartig, und plötzlich wurde der Begriff “Krankenpfleger” und letztendlich “Pflegepersonal” geboren. Schon allein an dieser sprachlichen Entwicklung lässt sich die Veränderung der Wertschätzung dem Berufsbild gegenüber ablesen. Was haben diese beiden Berufsprofile noch gemeinsam? Sie werden im genderneutralen Neutrum formuliert – eine weitere Möglichkeit in der Gender-Debatte für eine geschlechtsneutrale Sprachgestaltung. So können wir von Studierenden, Vortragenden, Führungskräften usw. sprechen.

Fühl mal in dich hinein. Was siehst du vor deinem inneren Auge, wenn du geschlechtsneutrale Formulierungen liest?

Durch das Gendering in der geschriebenen und alltäglichen Sprache fördern wir die Inklusion aller Menschen. Geschlechtergerechte Sprache hilft dabei, die bestehende geschlechtsspezifische Ungleichheit anzugehen und zu bekämpfen. Sie hinterfragt gesellschaftliche Normen und Stereotype und trägt dazu bei, stereotype Rollenbilder aufzubrechen und gleiche Chancen und Repräsentationen für alle Geschlechter zu fördern. Sie schafft ein Bewusstsein für die Geschlechtervielfalt und die Notwendigkeit der Gleichberechtigung.

Gendering mag nur ein kleiner Beitrag im Kampf um Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen sein, aber es ist ein ziemlich einfacher und kaum aufwändiger Beitrag, den jede und jeder leisten kann. Denn unsere Sprache prägt unsere Wahrnehmung und Denkmuster. Indem wir gendern, stärken wir die sprachliche Sichtbarkeit von Frauen und anderen Geschlechtern und haben damit eine Wirkung auf die Wahrnehmung von Frauen in der Gesellschaft.

Vita: Monica Gottlieb ist eine passionierte Reisebloggerin, Denkerin und Brückenbauerin, und vom Beruf Profiverhandlerin. Vor 3 Jahren hat es sie aus dem schönen Wien der Liebe wegen nach Nürnberg verschlagen, wo sie aktuell ihr Herzblut in die Energiewende steckt.

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Nachtrag

  • Ein kleines Gedankenexperiment: was wäre, wenn wir ab sofort und überall das feminine Generikum nutzen? Wie würde darauf reagiert werden?
  • Was wäre, wenn wir unsere männlichen Bekannten demnächst mit dem Ansatz des generischen Maskulinum nach dem Befinden ihres Partners fragen, statt nach dem Befinden ihrer Frau/Gattin/Freundin? Wie würde darauf reagiert werden?
  • Teile Deine Gedanken gerne im Kommentarfeld!
  • Buchtipp: Bernhard Moestl – Denken wie ein Shaolin; die sieben Prinzipien emotionaler Selbstbestimmung

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