Routinen halten uns lebensfähig.
Morgens kämen wir ohne Buttercroissant auf der Faust und rasche Schlucke aus der Kaffeetasse nippend gar nicht auf Touren. Abends auf dem Sofa, mit leckerer Schokolade oder einem Rotweinglas in der Hand sind wir uns sehr sicher: ohne diese süße routinemäßige Wiederholung, könnten wir den rasanten Arbeitstag nicht entspannt abschließen.
Routinen sind Starter und Absacker in einem. Fühlen wir!
Doch gilt das nur für unsere Stimmungsregulation? Wie wirken Routinen auf konkrete Arbeitsprozesse, auf unsere Kreativität und Produktivität? Was haben Handlungsroutinen mit Selbstverantwortung in Lernprozessen und im Business zu tun? Wozu können wir Routinen sinnvoll aufbauen und nutzen?
Der Sparplan für mentale Energie
In einer Welt voller Ablenkungen und ständig wechselnder Prioritäten schaffen Routinen die notwendige Struktur und Stabilität in unserem Alltag. Sie entlasten unser Gehirn.
Mit Routinen können wir schlicht ein automatisiertes Programm abspulen, also eine i.d.R. irgendwann bewusst getroffene Entscheidung standardmäßig wiederholen – bspw. wie wir den Tag beginnen oder ausklingen lassen. Wir müssen dann nicht mehr permanent eine Vielzahl von Detailentscheidungen treffen. Es ist nicht mehr nötig, jede noch so kleine Handlung bewusst zu steuern. So schützen wir uns vor Konzentrations- und Aufmerksamkeitsmangel durch Überlastung.
Routinen sind also höchst praktisch. Routinen sparen mentale Energie.
Und je häufiger wir diese Musterabläufe aufrufen, desto stabiler wird die damit einhergehende Verknüpfung im Netzwerk unseres neuronalen Handlungsgedächtnisses. Anfangs schubbst ein bestimmter Trigger oder Anreiz unser Gehirn sachte in den Autopiloten. Es wählt ein physisches, mentales oder emotionales Handlungsmuster als Reaktion, registriert und speichert das mit ihr einhergehende Wohlgefühl als Belohnung. Mit jedem erneuten, vergleichbaren Trigger beschleunigt unser Gehirn die Wahl dieses lohnenden Ablaufs. So wird der Vorteil der Entscheidung und abgespulten Routine allmählich fraglos, unser Handeln im Alltag entlastet – irgendwie angenehmer und leichter.
Der Bonus und das Kleingedruckte
Mit dem Spareffekt kommt ein weiterer Bonus. Wir können mit der freigesetzten Energie den Fokus auf neue oder wichtigere Aufgaben lenken. Wir sind durch den hirnökonomisch automatisierten Entscheidungs- und Reaktionsprozess in der Lage, uns mehr und anderes zu merken. Wir können mit Hilfe von Routinen unsere Produktivität steigern.
Routinen schaffen also mentale Freiräume für neue Herausforderungen und die Entwicklung neuer Fähigkeiten.
Doch Vorsicht, ganz ohne Achtsamkeit und reflexive Eigenverantwortung geht das nicht. Wesentliches steht auch hier im Kleingedruckten des Sparplans: Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen guten und schlechten, unterstützenden und boykottierenden Routinen. Eine Routine ist für unser Gehirn vielmehr dann als solche effektiv und energieeffizient, wenn sie ursprüngliche Bedürfnisse befriedigt und somit positive Emotionen auslöst (Belohnung). Das gilt für einen bedenklichen Routine-Downer wie „eben mal durch die Sozialen Medien scrollen“ genauso wie für einen energetisierenden Routine-Upper à la „nach dem Mittagessen machen wir gemeinsam 15min Bewegungspause“. Während jedoch erstere Routine mittelfristig unsere Prokrastination befeuert, kann uns zweitere auf längere Sicht vor verschiedenen gesundheitlichen Problemen bewahren. Zu Beginn allerdings mag bei beiden Routinen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit auslösender Anreiz gewesen sein. Unhinterfragt abgespult blockiert die eine Routine unsere Kreativität und Produktivität auf Dauer mehr als die andere.
Wissenschaft und Forschung gehen heute zudem davon aus, dass Routinen 30-50% unseres Handelns bestimmen (vgl. Duhigg 2013, Verplanken 2022). Sie sind fest mit den Strukturen unseres Alltags und darin stets gegebenen Triggern verwoben. So erkennen wir oft die hinter unseren Routinen liegenden Bedürfnisse, Anreize und Befriedigungsmuster nicht mehr. Wir treiben von einer Routinehandlung in die nächste und verlieren leicht den Blick für unsere mentalen Freiräume, diese wichtigen Spielräume unserer Kreativität und Produktivität.
Routinen, das macht ihren Energiespareffekt ja aus, entbehren unsere Willkür und entziehen sich unserer Kontrolle. Was wir jedoch nicht willkürlich steuern, können wir nur sehr bedingt beeinflussen. Genau deshalb fällt es uns zumeist enorm schwer, unliebsame oder sinnentleerte Handlungsroutinen loszulassen oder zu ersetzen.
Wenn wir unser Potenzial für Fokussierung, Neugier und Entwicklung im Alltag und im Business umfassender nutzen möchten, sind wir entsprechend aufgefordert, unsere bisherigen Routinen bewusst wahrzunehmen, zu reflektieren sowie selbstverantwortlich und achtsam anzupassen.
Selbstverantwortliches Routinemanagement
Richtig, derartiges Routinemanagement ist ein komplexer und zeitintensiver Prozess, der uns zunächst einen Teil der ursprünglich freigewordenen Handlungsenergie kostet. Erfreulich bleibt jedoch, dass wir uns diese Investition durch eine Art angepassten Sparplan mit neuen Boni wieder zurückholen können.
Routinen sind persönliche und soziale Gebilde. Sie variieren mit den Menschen, die sie aufbauen und in ihren jeweiligen Alltagskontexten reaktivieren. So verschieden wie wir Menschen und unsere Situationen sind, so verschieden sind folglich unsere Möglichkeiten, nutzlose oder gar kontraproduktive Routinen zu verändern und neue, sinnvolle Handlungsroutinen aufzubauen.
Das bedeutet auch, dass niemand anderes diesen Weg der willentlichen Wiederaneignung von routinierten Entscheidungs- und Reaktionsprozessen für uns gehen kann. Wir selbst übernehmen die Verantwortung für die Steuerung und Kontrolle unserer Bedürfnisse, Intentionen und Handlungen. Es ist wichtig, dass wir dies achtsam und bewusst tun.
Starte deine Erkundungstour rund um deine Handlungsroutinen
- mit kleinen Etappenzielen. Es ist leichter Schritt für Schritt vorwärtszugehen als die den Weg auf die andere Straßenseite in einem Sprung zu meistern.
- mit Belohnungen für (Teil-)Erfolge. Unser Gehirn liebt positives Feedback und Abwechslung dabei.
- in einer neuen Umgebung. Nach einem Stellenwechsel, (Büro)Umzug oder Urlaub sind wir i.d.R. neuen Anreizen ausgesetzt und weniger verleitet, alte Routinen abzuspulen.
- mit einem zu dir passenden Habit-Tracker. Halte mit Herzen oder bunt ausgemalten Kästchen im Kalender, deinem Journal oder in einer App fest, wenn du deine Routine umgesetzt hast. So hast du eine regelmäßige Erinnerung an dein Vorhaben und siehst, wie du mit deinen Erfolgen wächst.
- zusammen mit Peers (bspw. im Netzwerk). Deine Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit gewinnen durch den Austausch mit Gleichgesinnten.
Nimm dir Zeit und bleib dran, eine sinnvolle Routine aufzubauen kann mehrere Monate dauern. Feiere auch deine Misserfolge, sie zeigen dir, dass du den passenden Handlungsablauf noch nicht gefunden hast. Reboote und beginne neu.
Starte jetzt und beobachte, wie sich dein Leben positiv verändert!
- Identifiziere eine Routine, die du verändern möchtest. Finde den Auslösereiz, indem du darauf achtest, was du wann tust. Was triggert dich? Wie reagierst du?
- Prüfe deine Bedürfnisse und Motivation. Welches Bedürfnis erfüllt deine Routine? Wie wird das Bedürfnis bedient? Ist das Bedürfnis (noch) aktuell? Was genau stört dich an deiner derzeitigen Handlungsroutine? Weshalb möchtest du etwas ändern?
- Finde Handlungsalternativen. Was könntest du tun, um deine Routine zu ersetzen bzw. ihren Ablauf zu verändern? Wie kannst du bspw. anders auf den Trigger reagieren? Kannst du den Kontext (Ort, Zeit, Tempo, Anwesende) wandeln, in dem der Trigger wirkt und die Routine reaktiviert wird?
- Lege Situationen fest und setze Anker. Plane was genau du wann wo und wie tun wirst. Unterstütze dich durch selbst gewählte, hinweisgebende Auslöser und verknüpfe eine neue oder veränderte Routine mit bestehenden Alltagshandlungen, die dich erfreuen oder dir leichtfallen. (Beispiele: Sportsachen neben die Zahnbürste ins Bad legen, um täglich erst deine Fitnessrunde zu drehen. 15min-Timer vor dem Mailcheck stellen, um fokussiert zu bleiben. Mit jedem Kaffee ein Glas Wasser für die Gesundheit trinken. Während der PC runter fährt einen täglichen Brain Dump vor dem Feierabend journaln.)
- Reflektiere deine Werte und verbinde deine Handlungsroutine mit ihnen. Sorge so für deine intrinsische Belohnung aus der Tätigkeit selbst. Das steigert die Erfolgsquote, weil dein Tun dann im Einklang mit deinem Selbstkonzept und deinem inneren Kompass ist.
- Sei dir bewusst, dass dein Veränderungswille notwendig und deine Selbstdisziplin hilfreich ist, um negative Gefühle besser aushalten zu können. Dein Gehirn kennt den anderen Weg gut und mag es sparsam. Gib ihm Zeit und baue ihm Brücken, damit es Neues lernen kann.
- Nimm wahr, dass du in Gesellschaft lebst. Wir alle ziehen einen Nutzen aus sinnvollen Routinen. Wähle also positive Handlungsroutinen und trage dazu bei, festgefahrene Bedürfnisse auch im Miteinander zu lösen. Deine (routinierte) Praxis ist kraftvoll und gibt dir die Kontrolle über dein Leben sowie vielleicht positive Entwicklung für eine ganze Gemeinschaft.
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Die Autorin dieses Beitrags ist Birgit Maria Stubner.
Sie ist Expertin für authentisches Handeln im Lern-Alltag. Ihre Vision ist es, dass entwicklungsbereite Menschen ihre Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit zum Ausdruck bringen und ihr volles Potenzial mit Leichtigkeit und Freude entfalten. Auf Basis des von ihr entwickelten M.O.V.E-Frameworks unterstützt sie Lerner:innen systematisch in vier Entwicklungsbereichen, die Selbsterkenntnis, Wohlbefinden, kritisches Engagement und konstruktive Kollaboration fördern.